Wie Kolleg:innen vor Ort die Katar-WM erleben

„Eigentlich relativ normal“

05.12.2022

Menschenrechte werden mit Füßen getreten, Arbeiter versklavt, Frauen eingesperrt – so war das gängige Bild vom Gastgeberland vor dem Turnier. Doch wie ist das Bild vor Ort? sportjournalist-Autor Christoph Ruf hat sich umgehört.

 

Es gibt sie, die guten Nachrichten aus Katar. Nach einhelligem Urteil aller für diesen Text befragten WM-Korrespondentinnen und -Korrespondenten – denen, die namentlich zitiert werden wollten und den anderen – ist es derzeit vor Ort beispielsweise längst nicht so heiß wie befürchtet. Und alle zeigen sich mit der Organisation zufrieden: Die Shuttlebusse fahren pünktlich und auch spät nachts noch zuverlässig, berichtet ein Printjournalist. „Die Pressetribünen sind außerdem größer als bei früheren Turnieren. Ich kenne keinen Kollegen, der Schwierigkeiten gehabt hätte, für irgendein Spiel akkreditiert zu werden, das er sehen will“, sagt ein Kollege, der sich nach den ersten drei Spielen dabei ertappte, dass ihm dieses Turnier „eigentlich relativ normal“ vorkommt.

Zumindest, was die Arbeitsbedingungen für Journalisten angeht. Ansonsten sei das so eine Sache mit dem WM-Ambiente. Bisher habe er jedenfalls den Eindruck, dass die Einheimischen das Turnier mit Sympathie, aber aus sicherer Distanz begleiteten. Was auch der katarischen Mentalität entspräche, wie Ortskundige berichten. Privatheit sei in Katar ein hoher Wert. Entsprechend viel Platz ist in der Innenstadt von Doha, die dankbar von Fangruppen aus England, Asien oder Südamerika in Beschlag genommen wird. Hingegen sehe man vor Ort kaum Fans der deutschen Mannschaft.

Daniel Theweleit, der für die FAZ und andere Tageszeitungen vom Turnier berichtet, erlebt die WM als eine, die atmosphärisch besonders ist. Kontakt zu Katarern, die nur ein Zehntel der drei Millionen Einwohner ausmachen, bekomme man vor Ort nicht so leicht. „Sie fahren von zu Hause aus mit dem Auto in die Mall oder ins Stadion – und offenbar dann auch gleich wieder zurück.“ Umso schöner sei es, wie schnell man mit Indern, Nepalesen oder Afrikanern ins Gespräch komme, die in den Cafés und Restaurants arbeiteten und sich sehr über die WM und die vielen Begegnungen freuten, die ein solch großes Turnier biete (Neumann-Foto: ZDF).

Ein Journalist, der seit Jahren aus der Region berichtet, findet die in Deutschland vorherrschende Wahrnehmung von Katar zumindest selbstgerecht, zumal sich zuweilen rassistische Stereotypen („WM der Scheichs“, oder „Wüstensöhne“) untermischten. Die Kritik an Russland sei 2018 nicht halb so vehement ausgefallen. „Dabei halte ich die Wahrscheinlichkeit, dort als Homosexueller zusammengeschlagen zu werden, für deutlich höher als in Doha.“ Die Gesetze – auf Homosexualität stehen bis zu sieben Jahre Gefängnis – würden im Alltag nicht angewandt, seien aber natürlich dennoch skandalös. „Ich habe trotzdem den Eindruck, dass Katar gerade viel von der Kritik abbekommt, die zuerst mal die FIFA verdient hätte.“

In dieser Hinsicht hat sich Claudia Neumann schon in den ersten Turniertagen deutlich positioniert: Mit Regenbogen-Shirt und -Armbinde setzte sie ein Zeichen gegen die homophobe katarische Gesetzgebung und das von der FIFA durchgesetzte Verbot der „One Love“-Binde. Die ZDF-Reporterin legt aber Wert auf die Feststellung, dass Katar da keine andere Praxis verfolge als viele andere Länder, beispielsweise Nachbar Dubai. „Und das ist ja ein beliebtes Winterreise-Ziel deutscher Profis.“

Vor Ort erlebt Neumann, die zuvor schon zwei Mal aus Katar berichtet hatte, freundliche Menschen und einen Alltag, in dem sich Frauen aus westlichen Ländern durchaus so kleiden könnten, wie sie das für richtig halten. „Auch mit einem Rock, der übers Knie reicht. Aber das ändert natürlich nichts daran, dass für katarische Frauen ganz andere Regeln gelten.“ Ansonsten erlebe man auch als TV-Journalistin brandneue Stadien und ein gut organisiertes Turnier. „Aber dass das anders sein würde, war ja auch nicht zu erwarten.“

Negativ fällt vielen Kolleginnen und Kollegen hingegen die Kleingeistigkeit auf, mit der die FIFA ihren Regelungswahn durchsetze. „Im Gegensatz zu allen bisherigen Terminen gibt es ausgerechnet hier in dieser Hitze in den Medienbereichen kein Gratis-Wasser. Und erst nach langen Diskussionen ist es mittlerweile möglich, sich eigenes mitzubringen“, sagt Neumann: „Aber nur zwei Liter, und nicht von Marken, die nicht zum FIFA-Sponsorenpool gehören.“

Christoph Ruf arbeitet als Freelancer von Karlsruhe aus. Hier geht es zu Rufs Website.