Gut drei Jahrzehnte ist Andreas „Opa“ Geidel, 65, als Fußballreporter unterwegs, seit 1991 schrieb er für die Kieler Nachrichten über die Heimspiele der KSV Holstein. Als Sportjournalist hat „Opa“ also einiges gesehen. Das Heimspiel der „Störche“ am 29. Oktober 2022 gegen Fortuna Düsseldorf aber war für ihn etwas Besonderes. Weil er nun selbst zum Objekt der Berichterstattung wurde.
Während der Partie habe seine Frau, die nicht im Stadion war, bereits zahlreiche WhatsApp-Nachrichten erhalten, erzählt Geidel. Was sie las, beunruhigte sie. „Die hatte danach Angst, ob ich heil nach Hause komme“, sagt der Reporter. Danach habe das Telefon bei ihm drei Tage lang nicht stillgestanden.
Was war passiert? Einige Ultras hatten ein Plakat präsentiert, das Geidel aufs Korn nahm. „Geistige Tiefflieger erteilen Stadionverbot für Andreas Geidel“, war darauf zu lesen. „Das war’s für den Holstein-Experten.“ Nicht nur Geidels Frau empfand das als Drohung. Er gehe zwar davon aus, dass die Ultras nicht gewaltbereit seien, sagt der Reporter. Womöglich gebe es aber doch ein paar, die ihm körperlich einen Denkzettel verpassen wollten (Geidel-Foto: privat).
Warum das ein Thema für den deutschen Sportjournalismus ist? Weil die KSV das betreffende Plakat der Fangruppierung genehmigt hatte. „Wir prüfen jedes Banner“, bestätigt Peer Wellendorf, der Kommunikationschef des Zweitligisten. Zur Debatte steht nun, ob der Profiklub diese exponierte und in dieser Form wohl einzigartige Kritik nicht hätte verhindern müssen.
Die Ultras hatten reagiert auf den Podcast „Holstein Eins zu Eins“ der Kieler Nachrichten. In der Folge „Unter Gorillas“ vom 19. Oktober hatte Geidel, der inzwischen in Rente ist und frei arbeitet, darin die Ultras scharf attackiert. Es sei nicht mehr zeitgemäß, den Rivalen VfB Lübeck zu hassen, fand der Experte.
Weiterhin echauffierte er sich über die Gesänge „Hessen Kassel – Holstein Kiel“, mit der die Anhänger ihre Verbundenheit zu den Kassel-Fans dokumentieren. Das sei „nervtötend“, sagte Geidel, einem Gast müsse man erklären, „wie man auf diesen geistigen Tiefflug kommen kann“. Auch appellierte der Journalist an das „Großhirn“ der Ultras.
Er habe sich in Rage geredet, sagt Geidel heute, seine Wortwahl sei „etwas drüber gewesen“. Sein Blutdruck hat sich inzwischen aber wieder beruhigt. Alle Ängste, die das Plakat ausgelöst hatte, seien wieder verflogen. „Aber dass der Verein das Plakat durchgewunken hat, das hat mich schon geärgert.“
Die KSV Holstein sieht in dem Plakat weiterhin kein Problem. Die Fans hätten „in Form eines Banners“ reagiert, heißt es in der „Störche“-Stellungnahme. „Dieses wurde seitens der Fans entsprechend angemeldet und objektiv durch die entsprechenden Vereinsinstanzen geprüft und genehmigt.“
Das Plakat bewerte der Klub als „eine von der Meinungsfreiheit gedeckte Äußerung der Fans“, so Holstein-Sprecher Wellendorf: „Wir verstehen die erste Zeile des in Rede stehenden Banners dergestalt, dass die Fans den von Herrn Geidel getätigten Ausdruck aus dem Podcast aufgenommen haben und sich daher selbst als ‚geistige Tiefflieger‘ bezeichnen. Die zweite Zeile des genannten Banners verstehen wir dahingehend, dass Herr Geidel für die Fans kein Holstein-Experte ist und das hervorgehobene EX hiermit für ‚ehemaliger‘ Experte steht.“ Anders könne man es gar nicht lesen (Wellendorf-Foto: RSH).
KN-Sportchef Alexander Hahn teilte diese Ansicht in einem Kommentar nicht. Das Plakat lasse bewusst einen „Spielraum für Interpretation“ – und wolle offenbar einschüchtern. Ein kritischer Austausch müsse möglich sein. „Mit der persönlichen Attacke auf unseren Reporter ist jedoch eine Grenze deutlich überschritten. Hier geht es um eine mögliche Drohung gegen einen Kollegen. Und allgemein darum, die in Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschriebene Pressefreiheit zu schützen und Angriffe darauf im Keim zu ersticken.“
Holstein-Präsident Steffen Schneekloth habe derlei Argumente in einem persönlichen Gespräch nicht gelten lassen wollen, berichtet Gerhard Müller, Vorsitzender der Vereinigung Schleswig-Holsteinischer Sportjournalisten. Schneekloth, der auch dem Präsidium der Deutschen Fußball Liga angehört, habe vielmehr erklärt, es bestünden keinerlei Zweifel an der Genehmigung des Banners.
Müller kritisiert dies scharf: „Holstein Kiel hat es bewusst unterlassen, sein Hausrecht zu nutzen. Es ist ein gravierender Unterschied, ob Fans im öffentlichen Raum ihre Meinung kundtun oder in einem Stadion, in dem ein Verein bestimmen kann, wo die Grenzen verlaufen. In diesem Fall ist zumindest die Grenze des guten Geschmacks deutlich überschritten worden.“
Er kenne er kein historisches Beispiel für einen solchen Fall, sagt Christoph Bertling vom Institut für Kommunikations- und Medienforschung an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Auch er betrachtet die Genehmigung der KSV als gravierenden Fehler: „Jede geduldete Veröffentlichung des Banners seitens des Vereins nimmt in Kauf, dass die Situation eskalieren kann und ein Reporter in starkem Maße eingeschüchtert wird. Wie auch immer eine solche Entscheidung begründet wird, sie bleibt inakzeptabel.“
Erik Eggers, Jahrgang 1968, ist freiberuflicher Autor. Der Historiker gehört der Vereinigung Schleswig-Holsteinischer Sportjournalisten an. In seinem Verlag Eriks Buchregal bringt er eigene Werke und die anderer Autoren heraus.