Die App ChatGPT – was sie bringt und wem sie nützt

Einordnung, Faktenlage, Kontext

03.04.2023

Künstliche Intelligenz ist auch im Sportjournalismus im Kommen. Die App ChatGPT verspricht, menschliche Recherche überflüssig zu machen. Ein Selbstversuch von Thomas Nowag.

 

Die zweite Dose Energydrink knackt beim Öffnen bedrohlich. Zischend warnt sie vor dem Sodbrennen, das am Morgen so sicher kommen wird wie Oppositionskritik am Regierungshandeln. Auch egal, rein damit! Es hilft nichts – schließlich ist Super-Bowl-Nacht.

Um kurz nach 3.00 Uhr sind Hirn und Augen müde. Patrick Mahomes humpelt, alles spricht für einen Triumph der Philadelphia Eagles gegen die Kansas City Chiefs. In der Halbzeitshow hat Rihanna mit einem Babybäuchlein hoch in der Luft auf einer Plattform getanzt, es war ein Spektakel.

Und natürlich, der Journalisten-Albtraum: Das Spiel kippt. Mitten in der Nacht. Na toll (Screenshot: Nowag).   

Als alles hektisch umgeschrieben ist – ein Gedanke. Alle reden doch nur noch von der neuen Wunderwaffe, einer künstlichen Intelligenz, die Kindern Referate schreibt, Studenten Hausarbeiten und Journalistinnen und Journalisten mal sowieso total überflüssig macht. ChatGPT. Warum nicht mal probieren?

Kleine Google-Suche, dann: "Schreibe einen Livebericht zum Super Bowl. Nicht mehr als 500 Wörter." Klick.

Das Ergebnis ist, nun ja, doch einigermaßen ernüchternd. "Den Super Bowl 2022 gewannen die Los Angeles Rams gegen die Cincinnati Bengals. Das Spiel fand im SoFi Stadium in Inglewood, Kalifornien, statt. Die Rams gewannen das Spiel mit 23:20." Ist ja nicht falsch, pflegt ein geschätzter Kollege in solchen Fällen zu sagen.

Die Vorstellung, im Stadion künftig die Beine hochzulegen und den Bot schreiben zu lassen, möglicherweise gar nicht mehr gebraucht zu werden, muss wohl noch um einige Jahre verschoben werden. Selbst Monate später, in einem zweiten Test für diesen Text, kommt im Chat die Angabe, die Tampa Buccaneers hätten dank einer starken Leistung von Tom Brady gegen die Chiefs gewonnen: "Sie boten den Zuschauern dabei eine Show, die ihresgleichen suchte."

Klingt gut. Stimmt aber leider nicht: Das war 2021. Und nicht in Las Vegas, sondern in Tampa.

"Bitte kaufen Sie die Premiumversion"

Nächste Aufgabe, Football ist ja nicht jedermanns Sache. "Kommentiere die Leistung der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Belgien." Anwort, haha: "Als künstliche Intelligenz bin ich nicht in der Lage, eine Meinung zu haben oder sie auszudrücken." Okay, verständlich. Und: "Angesichts der Tatsache, dass das Spiel jedoch nie stattgefunden hat, (...) kann ich sagen, dass ich keinen Kommentar (...) abgeben kann." Das würde sich Hansi Flick wohl wünschen (Flick-Foto: GES-Sportfoto/Markus Gilliar/augenklick).

Kann ja nicht wahr sein. "Doch! Das Spiel endete 2:3. In Köln." – "Oh, mein Fehler. Danke für die Korrektur." – "Wer hat denn die Tore erzielt?" – "Als AI-Modell habe ich keine spezifischen Informationen zu einem bestimmten Spiel." – Hm. "Was ist das Besondere an Fortuna Düsseldorf?" – "Sie haben keine Gratisfragen übrig", heißt es in der App. "Bitte kaufen Sie die Premiumversion."

Tja. Wöchentlich 7,99 Euro. Monatlich 11,99 Euro. Lebenslang, jetzt 40 Prozent Rabatt: 94,99 Euro. Nee, lass mal. Vorerst nicht.

Künstliche Intelligenz kann äußerst erstaunliche Dinge vollbringen, bisweilen auch gefährliche. Es genügt dazu ein Blick auf die Fotomontage von Papst Franziskus, der im weißen Daunenmantel mit massivem Kreuz auf der Brust plötzlich aussieht wie ein Gangsta-Rapper auf dem Weg zur brennenden Mülltonne aus den alten Musikvidoes. Ein dermaßen guter Fake, an entsprechender Stelle mit anderen Personen platziert, könnte einiges auslösen. Deep Fakes werden auch als Videos immer schwieriger zu erkennen sein.

Wir als Sportjournalistinnen und Sportjournalisten können aber vorerst beruhigt sein. Denkbar wird und ist eine datenbasierte, automatische Produktion nach dem Muster Ergebnis-Torschützen-Tabellensituation. Doch was, wenn bei einem Fußballspiel plötzlich Ausschreitungen das Wichtigste sind? Wenn es im Eishockey zu einer schweren Verletzung kommt, deren Dramatik noch nicht abzusehen ist? Wenn im Bobsport die Kurve 17 eindeutig zu tief angefahren wurde? In der Leichtathletik vor dem Rennen der Topstar das IOC kritisiert?

Dann hilft auch weiterhin nur menschliche Intelligenz weiter. Einordnung, Sortierung, Faktenlage, Kontext.

Auf die Frage "Kannst Du Journalismus ersetzen?" immerhin liefert ChatGPT die perfekte Antwort. "Insgesamt kann ich (...) als Werkzeug für Journalisten und Redakteure dienen, um ihre Arbeit zu erleichtern und zu unterstützen, aber ich kann den menschlichen Journalismus nicht ersetzen."

Es kommt mir fast so vor, als hätte ich dies schon einmal geschrieben.

Thomas Nowag, Jahrgang 1979 und Mitglied des Verbandes Westdeutscher Sportjournalisten, arbeitet als Redakteur für den Sport-Informations-Dienst (SID) in der Hauptredaktion in Köln.