Adrian Schmitz, 64, ist seit 2016 Teil der Jury für den VDS-Hörfunk-Preis. Weil er seit einem schweren Autounfall vor über 30 Jahren blind ist, hört er Fernsehen und erlebt Stadionatmosphäre mit Audio-Deskription. Doch nicht überall ist das mit einer Sehbehinderung gleichermaßen möglich. Ein Gespräch über Barrieren in der Sportberichterstattung, fehlende Repräsentanz und Wege, das zu ändern.
sportjournalist: Herr Schmitz, hat Ihr Unfall Ihr Verhältnis zu Sport verändert?
Adrian Schmitz: Nein. Ich war schon immersportbegeistert. Ich habe alles Mögliche aktiv ausprobiert. Am längsten war ich Sportschütze. Nach meinem Unfall habe ich dafür eine spezielle Zielvorrichtung gekauft und war bei der EM. Aufgehört habe ich letztlich wegen fehlender Sponsoren. Zum Stadiongänger wurde ich in den 1980er-Jahren, als mein Arbeitgeber Sponsor des 1. FC Kaiserslautern war. Dabei bin ich eigentlich HSV-Fan. (Schmitz-Foto: privat)
sj: HSV-Fan im Saarland?
Schmitz: Den hat meine Frau mit in die Ehe gebracht. Wir hören am Wochenende gemeinsam Bundesliga auf Sky.
sj: Hat das Fernsehen für Sie nach Ihrem Unfall an Bedeutung verloren?
Schmitz: Fernsehen bleibt ein bevorzugtes Medium von mir, hauptsächlich aber bei den Öffentlich-Rechtlichen, weil dort viel Audio-Deskription angeboten wird. Ich bedaure, dass die das bei den Privaten wie RTL und Sat1 nicht hinbekommen. Dort gibt es keinen zweiten Tonkanal, weshalb auch keine Audio-Deskription laufen kann. Es ärgert mich, dass da wenig passiert und Barrierefreiheit offenbar kein wichtiges Thema ist.
sj: Lohnen sich Übertragungen für Sie ohne Audio-Deskription überhaupt?
Schmitz: Bei der Bundesliga oder bestimmten Länderspielen geht es ja nicht anders. Ich habe mal eine E-Mail an Sky geschrieben, dass ich begeisterter Hörer bin. Ich habe darum gebeten, den Kommentatoren weiterzuleiten, dass auch Blinde und Sehbehinderte vor dem Fernseher sitzen, und gefragt, ob es nicht möglich wäre, ausführlicher zu kommentieren als für Sehende. Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass zumindest darüber nachgedacht wurde; es gab seitdem schon Hinweise für Sehbehinderte. Informationen über die Kleidung oder darüber, wo sich die Trainer befinden, klingen für Sehende überflüssig. Für Blinde erzeugt aber genau das oft ein Bild, das sonst fehlt.
sj: RTL überträgt Länderspiele. Sollten die nicht für alle zugänglich sein?
Schmitz: Eigentlich schon. Zumal dort nicht nur die Audio-Deskription fehlt, sondern die Übertragungen auch wenig hörfreundlich sind. Bei der Taktikanalyse spricht oft niemand zu den Bildern, die Spielszene spricht also für sich selbst – aber nur für Sehende. Als Hörer weiß man nicht, wovon danach gesprochen wird. Dabei würde eine knappe Beschreibung genügen.
sj: Wie viel Einfluss hat, dass im Sport-Journalismus kaum direkt Betroffene tätig sind?
Schmitz: Blinde und Sehbehinderte sind im Sport stark unterrepräsentiert. Diese fehlende Präsenz macht sich bemerkbar, denn wer nicht mit am Tisch sitzt, kann seine Position nicht einbringen. Das ist aber in vielen Lebensbereichen so – deshalb organisiere ich dieses Jahr zum zweiten Mal eine inklusive Kappensitzung. Beim Fernsehen werden Sehbehinderte selten mitgedacht. Das ist beim Radio anders, weil dort niemand ein Bild hat und es somit alle betrifft.
sj: Was hat Ihnen an Ina Kasts Reportage über Angelique Kerber, die beim Hörfunk-Preis den ersten Platz belegt hat, besonders gefallen?
Schmitz: Sie hat jeden Ballwechsel und die Stimmung mit der Modulation ihrer Stimme so gut eingefangen, dass ich als Blinder mittendrin war. Ich finde, dass es zu wenige Frauen im Sportjournalismus gibt, und kann viele Diskussionen dazu überhaupt nicht nachvollziehen. Das Ende der Bundesligaspiele höre ich zum Beispiel immer in der Schlusskonferenz. Und neulich haben drei Frauen kommentiert. Da hab ich mir gedacht: Na bitte, geht doch!
sj: Ist Fußball im Stadion inklusiv?
Schmitz: Das hängt von der Bereitschaft des Vereins ab. Beim ersten Spiel nach meinem Unfall haben mir noch zwei Kollegen das Spiel kommentiert, aber ich hab' so gut wie nichts mitbekommen. Dann habe ich erfahren, dass für Blinde und Sehbehinderte in vielen Stadien Audio-Deskription angeboten wird: Man hat Kopfhörer und einen Empfänger und bekommt durch zwei Kommentatoren alles 1:1 beschrieben. Parallel erlebt man das komplette Stadion-Feeling. Laut DFB und DFL ist das aber nicht verpflichtend, sondern wird von den Vereinen nur erbeten.
Mit Adrian Schmitz sprach Katrin Freiburghaus. Sie arbeitet von München aus als Freelancerin, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. Hier geht es zu ihrem Xing-Profil.