Die gute Nachricht ist, dass manche Diskussionen im Fußball-Journalismus keine mehr sind. Zum Beispiel die, ob eine weibliche Stimme in Beiträgen grundsätzlich zumutbar ist, ohne der Sportart schweren Schaden zuzufügen. Das war mal anders, und zwar nicht 1950, sondern 2008. Christina Rann erinnert sich noch daran und lacht mittlerweile darüber. Es habe sich "seitdem viel getan", sagt sie.
Die schlechte Nachricht ist, dass zur Gleichberechtigung trotzdem noch viel fehlt. An kaum einer Stelle wird das deutlicher als beim Live-Kommentar von Fernseh-Übertragungen. Das Champions-League-Finale der Frauen kommentierte in diesem Frühjahr sowohl auf DAZN als auch beim ZDF eine Frau – Christina Rann beziehungsweise Claudia Neumann. Das ZDF besetzte Neumann kurz darauf auch für das Männer-Endspiel. In der beleidigenden Unsachlichkeit sowohl vor als auch nach dem Spiel spiegelte sich, wie sehr Teile des Publikums noch immer mit Frauen am Mikrofon fremdeln. "Es ist eine starke Leistung von Claudia Neumann, dass sie weiß, dass das passieren wird, und sich da trotzdem jedes Mal wieder hinsetzt und das Selbstverständnis vermittelt: Ich gehöre hier hin", sagt Journalistin Mara Pfeiffer.
Rann hatte für MagentaTV bereits bei der WM in Katar kommentiert und berichtet zwar von etlichen positiven Rückmeldungen. Doch auch ihr schlug in der Anonymität des Internets jene Form von Kritik entgegen, die eigentlich keine ist: Je mehr Anonymität die Plattform gestattete, desto zahlreicher waren die reflexhaft Kommentierenden, die Frauen in Fußballfragen entweder pauschal Ahnungslosigkeit unterstellten, die Zerstörung des Fußballs witterten oder sich an Ranns Stimme abarbeiteten.
Einer solchen Haltung ist kaum sachlich zu begegnen, weil sie im Kern auf Sexismus beruht. Benenne man das, sagt Pfeiffer, bekomme man als Rückmeldung, "dass Frauen nicht mit Kritik umgehen könnten und deshalb die ‚Sexismus-Karte‘ ziehen würden". Der Vorschlag, inhaltliche Kritik zu äußern, bringe in solchen Fällen wenig.
Rann bildet mit einer Handvoll Mitstreiterinnen noch immer die absolute Ausnahme beim Live-Kommentar von Fernseh-Übertragungen. "Ständig meine Kompetenz begründen zu müssen gehört zu meinem Alltag", sagt sie. Um das zu ändern, hat die Initiative "Fußball kann mehr", die 2021 gegründet wurde, neben anderen Projekten einen Lehrgang für Kommentatorinnen ins Leben gerufen. (Rann-Foto: Thomas Leidig)
Geleitet wurde die erste Auflage von den Gründungsmitgliedern Gaby Papenburg und Neumann. Beide wissen, was es bedeutet, die Erste zu sein, die beim Fußball das bestehende Geschlechterverhältnis in Frage stellt: Neumann kommentierte als erste Frau live im Fernsehen, Papenburg moderierte als erste ein reines Fußballformat.
Die Erfahrung, den ersten Schritt machen zu müssen, eint die neun Initiatorinnen von "Fußball kann mehr" um das ehemalige HSV-Vorstandsmitglied Katja Kraus. Daraus speise sich "die Basis dafür, es anders zu machen und nicht glücklich zu sein mit der eigenen Exotik, sondern darin eine Verpflichtung zu erkennen, jüngeren Frauen zu helfen, diese Wege leichter zu gehen", sagte Kraus 2021 in einem Podcast.
Der Umstand, dass Kommentatorinnen mit Skepsis begegnet wird, hat nicht unbedingt etwas mit bösem Willen, sondern zu einem guten Teil mit Gewohnheiten zu tun – und Gewohnheiten sind zäh. Selbst Papenburg sagte im Gespräch mit 11Freunde: "Wenn ich an große Fußballspiele denke, habe ich Männerstimmen im Ohr."
Das bedeutet, dass sich, wo keine Frauen kommentieren, auch niemand daran gewöhnen wird, dass sie da sind. Der Lehrgang und die gesamte Initiative haben es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, Geschlechtergerechtigkeit aktiv voranzutreiben – unter anderem durch gezielte Förderung von Frauen und die Erhöhung ihrer Sichtbarkeit. (FKM-Logo: FKM)
Der Kommentatorinnen-Lehrgang schließt dabei eine Lücke, die bei männlichen Kollegen gar nicht besteht. Die meisten Kommentatoren eifern Kollegen nach und probieren sich irgendwann ganz selbstverständlich aus. Dieser Werdegang setzt zwei Dinge voraus: Vorbilder und Fördernde.
Als Rann während ihres Studiums ein Seminar zum Kommentieren für Blinde und Sehgeschädigte belegte, war sie eine von zwei Frauen, und ihr fiel auf, "dass wir niemanden hatten, an dem wir uns orientieren konnten". Das hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch durch ihre eigene Tätigkeit geändert. Und der Vollständigkeit halber sei erwähnt: Die Zerstörung des Fußballs blieb aus.
Katrin Freiburghaus ist freie Autorin, Journalistin und Künstlerin. Zu ihrem Instagram-Profil gelangen Sie hier.