Rechtsradikalismus im Fußball

"Keine Doppeldeutigkeiten"

04.12.2023

Nach rechtsradikalen Vorfällen positionieren sich die Vereine heute glücklicherweise zunehmend schnell und deutlich. Aber sind die Medien nicht häufiger zu schnell mit Urteilen bei der Hand? Von Christoph Ruf

 

Es ist über 30 Jahre her, dass die Mauer fiel. Doch die wechselseitigen Klischeevorstellungen zwischen Ost und West sind längst nicht verschwunden. Ostdeutsche, die frei assoziieren, wenn sie "Oberhausen" hören, lassen häufig Klischees von Stahl und kohleverschmierten Gesichtern vom Stapel. Oberhausener, in deren Stadt seit 1992 keine Zeche mehr in Betrieb ist, und die nach dem gleich großen "Rostock" gefragt werden, haben ein anderes Bild vor Augen: Lichtenhagen, Platte, der von einem rassistischen Mob bejubelte Brandanschlag auf Vietnamesen im "Sonnenblumenhaus".

Das Problem an Klischees ist ihre Wirkmächtigkeit – vor allem im Fußball, wo ein norddeutscher Bundesligist auch noch 2023 "nach Fisch stinkt", während man einem süddeutschen "die Lederhosen" auszieht. Und wo die Feindschaft zwischen den Fans des FC St. Pauli und denen von Hansa Rostock seit jeher politisch aufgeladen ist. Hier nur Rechte, dort nur Linke – ein Klischee, das von beiden Fangruppen Jahr für Jahr bei den Derbys neu befeuert wird. So auch Mitte November, als die Hansa-Fans in einer Choreo ein Plattenbau-Panorama zeigten – ganz rechts besagtes Sonnenblumenhaus. (Foto Fans von Hansa Rostock im August 2022 beim Hamburger SV: Jürgen Fromme/firo sportphoto/augenklick)

Um es kurz zu machen: Ja, es war eine Choreo zum Jubiläum einer Gruppe namens "Plattenbau Rostock", die ihre Homebase in den Hochhaussiedlungen hat. Ja, der langjährige Ausländerbeauftragte der Hansestadt, Dr. Wolfgang Richter, der damals den Vietnamesen half, legt die Hand dafür ins Feuer, dass die Ultras damit nicht die Pogrome abfeiern wollten.

Aber andererseits: Ist ein 13-jähriges Jubiläum wirklich so prominent, dass man es mit einer 60-Meter-Choreo feiert? Ausgerechnet gegen St. Pauli? Und warum ist der Rauch, der unter dem ganzen Transparent aufsteigt (nicht nur unterm Sonnenblumenhaus, wie fälschlicherweise berichtet wurde), schwarz, wenn keine Assoziationen zum Brand geweckt werden sollen? Es mag sein, dass es nicht die primäre Absicht war, einen Mordanschlag abzufeiern. Dass genau die Interpretation aber mitgedacht wurde, kann man ernsthaft nicht bestreiten.

Stimmt es also, dass medial "völlig undifferenziert berichtet wurde und ohne offensichtlich nachzufragen", dass die Rassismuskeule über Stadt und Verein geschwungen wurde, wie Richter behauptet? Zumindest war der mediale Tenor früh gesetzt, schon wenige Minuten nach dem Einrollen der Choreo. Doch im Gegensatz zu der in Rostock derzeit gerne zu hörenden Lesart geschah das meist nicht als pauschales Hansa-Bashing. Der kicker, der mit am schnellsten online ging, titelte beispielsweise völlig korrekt: "Hansa-Fans provozieren wieder mit Lichtenhagen-Assoziation".

Hingegen stellte sich Hansa in einer ersten Stellungnahme ausschließlich verteidigend vor die Fans. Die Replik der Pressestelle des FC St. Pauli, es dürfe bei diesem Thema "keine Doppeldeutigkeiten" geben, ist also nachzuvollziehen. Wobei auch die Hamburger zuweilen mit zweierlei Maß messen. Als ihre Fanszene 2017 gegen Dynamo Dresden mit einem widerlichen Transparent ("Schon eure Großeltern haben für Dresden gebrannt") auf die alliierten Bombenangriffe 1945 anspielten, fiel die Entschuldigung ziemlich halbherzig aus.

Besser machte es im Sommer der Hallesche FC nach einem Pokalspiel gegen Fürth. Nachdem deren Trainer Alexander Zorniger bei der Pressekonferenz die rassistischen Beleidigungen gegen seinen Spieler Julian Green öffentlich gemacht hatte, entschuldigte sich Pressesprecherin Lisa Schöppe umgehend und deutlich – ohne jede Vorbereitungszeit.

Auch der VfB Stuttgart fiel Mitte November positiv auf, als er von sich aus publik machte, dass sich zwei Zuschauer beim Spiel gegen Hoffenheim rassistisch und antisemitisch geäußert hatten. Der VfB, dessen Ordner von anderen Fans auf den Vorfall aufmerksam gemacht worden waren, erließ ein Stadionverbot und distanzierte sich per Pressemitteilung.

Man habe ein Signal setzen wollen, erläutert Mediendirektor Tobias Kaufmann: "Dass es auch im Stadion bei allen Emotionen Grenzen gibt. Und dass wir uns darum kümmern, wenn Zuschauer sich nach solchen Vorfällen bei uns melden. Die können erwarten, dass wir reagieren und Konsequenzen ziehen."

Christoph Ruf arbeitet als Freelancer von Karlsruhe aus. Hier geht es zu Rufs Website.