Über das Verhältnis zwischen Thomas Tuchel und den Journalisten

Missverstandene Ehrlichkeit

03.06.2024

Ein Bayern-Coach erklärt sich stets ausführlich und ehrlich – und leidet am Ende genau darunter. Tuchels Amtszeit zeigt einen Missstand auf im Verhältnis von Trainer und Journalisten. Eine kritische Betrachtung von Felix Haselsteiner.

 

Zum Ende hin fand Thomas Tuchel dann auch noch den Witz, den er wohl von Anfang an gebraucht hätte. Ein ums andere Mal konnte man den nun ehemaligen Trainer des FC Bayern im Mai dabei beobachten, wie er ganz zielstrebig einen Pressesaal zum Lachen brachte. Wie er Spaß daran hatte, über Uli Hoeneß und dessen Kritik zu kokettieren; wie er sich nicht zu schade war, vorhersehbaren Fragen vorab mit einem Spruch zu begegnen; wie er auch dann schmunzelte, wenn er gar nichts sagen wollte. Und so blieb ein kurioses Bild zurück: das eines Trainers, der seine beste Zeit dann erlebte, als er zu einer lahmen Ente geworden war.

Man konnte in den letzten Wochen seines Wirkens in München kaum glauben, dass es derselbe Thomas Tuchel gewesen war, der im vergangenen Herbst noch völlig unkokett, sondern besserwisserisch und eitel bei Sky einen Kleinkrieg mit seinen Kritikern ausgefochten hatte. Der sich nicht zu schade war, Experten wie Didi Hamann direkt zu antworten, anstatt derlei Gegenwind mit einem Schmunzeln in eine sanfte Brise zu verwandeln.

Seitdem ist viel passiert, eine Ära Tuchel ist es nicht geworden, und doch stehen der Trainer und seine 14 Monate in München stellvertretend für ein paar Missstände in der Fußball- und Fußballmedienbranche. Einerseits, weil sich an ihm die absurde, bisweilen groteske Kurzfristigkeit der Entscheidungsfindungen ablesen lässt, die man derzeit gerne exklusiv dem FC Bayern unterstellt, die aber auch anderswo zu finden ist: Eine selten zuvor dagewesene Ungeduld ist spürbar – und die Medien spielen dabei ebenfalls eine Rolle.

Ruhe nämlich hatte Tuchel nicht einen einzigen Tag während seiner Amtszeit, von innen nicht, aber auch nie von außen. In konstanten Wellen ging es auf und ab, oftmals ohne Fairness und Ausgeglichenheit. Er war der Heilsbringer, der Intrigant im Transfer-Ausschuss, der Spieler-Forderer, der Spieler-Nichtförderer, der Taktikversager und das Taktikgenie, der Rauswurfkandidat, der Entlassene, der Zurückholenswerte, der Champions-League-Trainer, der Bundesliga-Verlierer. Und irgendwo zwischen all diesen Zuschreibungen, dem bisweilen kampagnenhaften Journalismus einiger Medien und Sender beziehungwseise ihrer Experten, konnte man glatt vergessen, was Thomas Tuchel eben auch war: ein beachtlich ehrlicher Mensch in einer Branche, die diese Eigenschaft nicht honoriert.

Wer Tuchel auf Pressekonferenzen begegnete, traf einen Mann, der auf die ganz grundsätzlichen Eigenschaften des Umgangs miteinander viel Wert legte. Tuchel schaute die Fragensteller an, er hörte gut zu, er nahm sich Zeit für Antworten. Er verzichtete weitestgehend auf Floskeln, war sichtlich um Ehrlichkeit und Offenheit bemüht und vor allem um eine Argumentation: Tuchels Antworten lieferten nicht nur Thesen, sie erläuterten auch mit Begründung und waren gerade ein angenehmer Gegensatz zu dem Trend, der sich längst durchgesetzt hat. (Foto: firo sportphoto/augenklick)

Es gibt auch andere, die einen ähnlichen Stil finden, Dortmunds Edin Terzic etwa, der ebenso viel Wert auf einen höflichen Umgang mit seinen Gegenübern legt. Gerade im internationalen Vergleich aber ist die Ehrlichkeit eine Besonderheit. Trainer geben dort nur ungern ausführliche Antworten, sie profilieren sich als zurückhaltende, vorsichtige öffentliche Gesprächspartner und halten sich auffällig zurück mit klaren Aussagen. Und man kann ihnen dazu auch nur raten: Wer sich heutzutage als internationaler Spitzentrainer zwei- bis viermal pro Woche auf ein Podium setzt, um sich Fragen stellen zu lassen, lebt im steten Risiko, einmal die falsche Antwort zu geben. Nichts sagen beim Reden ist da die sichere Devise.

Pressekonferenzen sind heute keine geschlossenen Veranstaltungen mehr, wo Journalisten und Trainer einen geschützten Raum vorfinden. Sie werden öffentlich übertragen, jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt, jede Laune interpretiert. Und in dieser gläsernen Atmosphäre steht eines fest, nun in 14 Monaten auch experimentell belegt: Belohnt wird Ehrlichkeit nicht.

Es gehört zu den Missständen der Branche, dass sie gerade in München so auf der panischen, klickorientierten Suche nach der nächsten Schlagzeile ist, dass Tuchels teilweise langen Ausführungen auf Pressekonferenzen ignoriert wurden, wenn er dafür im Nebensatz einen markanten Titelsatz lieferte. Zwischentöne gingen auf diesem Weg verloren und irgendwann auch das Verständnis dafür, dass ein Trainer dort eine Bühne nutzen möchte, um sich vor der Öffentlichkeit zu erklären. Dass er dabei auch Spieler ehrlich und klar kritisierte? Musste man nicht mögen, allerdings wirkte es wesentlich authentischer als etwa die schweifenden Erzählungen von Pep Guardiola, der sich einst "1000 Dantes" wünschte, bevor er den einen, den er hatte, nur zu gerne nach Frankreich wechseln ließ.

Ob Thomas Tuchel noch im Amt wäre, wenn er sich unnahbar, unauthentisch – geradezu: langweilig – von Frage zu Frage geantwortet hätte? Schwer zu sagen. Job-taktisch geschadet hätte ihm ein wenig mehr Schweigsamkeit in mancher Situation aber sicherlich nicht. Aus Sicht des Sportjournalismus aber, der nicht nur nach Schlagzeilen, sondern nach einem tiefgehenden Verständnis für die Vorgehensweise eines Trainers und einer Mannschaft sucht, kann man Thomas Tuchel ausdrücklich dankbar sein, dass er sich selbst treu geblieben ist bei seinen regelmäßigen Auftritten. Die ihn als Trainer zurückbleiben lassen, der mit zu wenig sportlichem Erfolg, aber immerhin einem beachtlichen Maß an Authentizität seine Amtszeit in München beendet hat.