Stellenabbau in Österreich

Mittendrin in den Problemen

04.12.2023

Viele Themen, die Österreichs Sportjournalisten beschäftigen, sind aus Deutschland bekannt – doch gibt es auch spezielle Entwicklungen, die die Krise dort alsbald noch verschärfen könnten. Tragisch ist das nicht nur deshalb, weil der Sport sich gerade Erfolg versprechend entwickelt. Von Felix Haselsteiner

 

Man muss schon etwas weiter in die Vergangenheit zurückblicken, um die Sportnation Österreich in einem noch glückseligeren Zustand aufzufinden als aktuell. Die Skifahrer sind mit einem Dreifachsieg im Heim-Slalom in die Saison gestartet, die Fußballer spielen so gut, dass sie im Happel-Stadion den Rivalen aus Deutschland in die Existenzkrise gestoßen haben und auf eine Überraschung bei der Europameisterschaft im kommenden Jahr hoffen. Große Träume sind immer erlaubt, in Österreich mehr als irgendwo anders, wo die emotionale Zugewandtheit zu den Sportlern alles von tiefer Frustration bis größenwahnsinniger Euphorie erlaubt.

Historisch führt das dazu, dass auch die Medienwelt vom Auf und Ab der eigenen Sportler profitiert. Nur: Während dieses sportlichen Höhenflugs stellen sich denjenigen, die die Ergebnisse und Geschichten zu den Menschen bringen sollen, existenzielle Fragen. Der österreichische Sportjournalismus beschreibt zwar große Träume, lebt und arbeitet aber zunehmend in albtraumhaften Verhältnissen. Die Frage ist, ob diese schlechten Träume irgendwann enden – oder ob das Aufwachen noch viel schlimmer wird. (Schuen-Foto: Kleine Zeitung)

"Die Branche steht nicht vor großen Problemen, sie ist schon mittendrin", sagt Michael Schuen. Der 51-Jährige ist Sportchef der Kleinen Zeitung – Österreichs Tageszeitung mit der zweitgrößten Auflage – sowie Präsident des Verbandes der österreichischen Sportjournalistinnen und -journalisten, Sports Media Austria. Schuen ist daher gut informiert, was die Stimmungslage unter den Sportjournalisten angeht. "Nicht berauschend" sei sie und zunehmend schlechter werdend, weil sich strukturell zu viel verschoben hat in den vergangenen zehn Jahren, damit ein Dasein als Sportjournalist noch ein allzu erstrebenswerter Beruf wäre.

Viele von den Themen, die Österreichs Tageszeitungen und Online-Sportplattformen beschäftigen, sind aus deutschen Sportredaktionen bestens bekannt. Die Arbeitszeiterfassung sorgt für die Erkenntnis, dass ein klassischer Sportjournalismus vor Ort kaum noch möglich ist, ohne den eigenen Gesetzmäßigkeiten zu widersprechen. "Man schwankt zwischen Tempo und Qualität und einigt sich auf gleichbleibende Qualität in schnellerem Tempo", sagt Schuen, der Kompromiss geht freilich nicht auf. Die Belastung sei inzwischen so groß, dass es kaum noch möglich ist, Nachwuchs zu finden: Talentierte junge Journalisten finden bei Zeitungen nicht mehr die Bedingungen vor, die sie erwarten – und freie Journalisten bekommen zu wenige Aufträge, um sich den Beruf leisten zu können.

Dazu kommt die Veränderung einer österreichischen Besonderheit, die jahrelang dafür gesorgt hat, dass es den Journalisten verhältnismäßig gut ging. Ende September kündigte der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) einseitig den sogenannten Kollektivvertrag auf, der einst eingeführt wurde, um die Journalisten am österreichischen Erfolgsmodell Zeitung zu beteiligen: Regelmäßige Lohnerhöhungen für alle waren darin verankert, teilweise wurden in den besseren Zeiten 16 Monatsgehälter ausbezahlt.

Doch mit dem Abschwung der Print-Leserzahlen kam auch die Verlagskrise, die nun in der Kündigung der Sozialpartnerschaft endete. Inzwischen ist die VÖZ von ihrer radikalen Maßnahme einer Kündigung wieder zurückgetreten, Verhandlungen mit der Journalisten-Gewerkschaft GPA allerdings werden kaum massive Verbesserungen bringen.

Die Situation wird sich damit deutlich verändern. "Ohne Kollektivvertrag wäre das Worst-Case-Szenario, dass jeder Dienstnehmer seinen eigenen Arbeitsvertrag verhandeln müsste", sagt Schuen. Es gehe "um Arbeits- und Ruhezeiten, Wochenendarbeit etc. Sportjournalisten kosten Unternehmen mehr, weil sie dann arbeiten, wenn andere frei haben." Der Personalabbau würde sich unter diesen Umständen fortsetzen, bei der Kleinen Zeitung etwa wurde in den vergangenen zehn Jahren im Sportressort schon etwa ein Drittel der
Stellen eingespart.

Dabei ist das steirische Blatt in vielerlei Hinsicht noch eine Erfolgsgeschichte: Österreich hat anders als Deutschland keine Vielzahl großer überregionaler Qualitätszeitungen, dafür aber regional immer noch relativ verlässliche Abozahlen. Könnte darin eine mögliche Antwort liegen auf die Krise, auch im Sportjournalismus? Man müsse sich im Klaren darüber sein, dass man dadurch digital nur einen "beschränkten Kreis" an Lesern erreiche, sagt Schuen.

Auch diese Problematik ist in Deutschland bekannt: Live-Sport funktioniert online bestens, verliert dafür in der gedruckten Ausgabe an Wert, die abends vielerorts gar nicht mehr aktualisiert wird. Und wer sich als Blatt nicht auf Skandalgeschichten fokussieren möchte, wird es schwer haben, im Internet mit der lautstarken Boulevard-Konkurrenz mitzuhalten.

Das alles könnte alsbald – so hört man es von vielen Journalisten – zu weniger Reportagen vor Ort führen und mehr Pool-Reportern, die für mehrere Medien gleichzeitig berichten. Selbst der ORF dürfte vor diesen Einsparungen nicht gefeit sein, erst recht, weil im kommenden Jahr noch eine wesentliche existenzielle Entscheidung ansteht: Die Nationalratswahl im Herbst könnte die rechtspopulistische FPÖ ins Bundeskanzleramt hieven, die Lage im öffentlichen Rundfunk dürfte sich dann umgehend verschärfen.

Dagegen wirkt die Aussicht auf das Sportjahr 2024 fast schon nebensächlich, obwohl mit Fußball-EM und Olympischen Spielen zwei Großereignisse anstehen – zu denen wohl eine rekordverdächtig niedrige Zahl österreichischer Sportjournalisten reisen dürfte. Auch wenn die Erfolgschancen gerade bei den Fußballern diesmal verhältnismäßig groß wären, wovon Medien im Normalfall profitieren könnten. Nur: Normalität dürfte so schnell nicht einkehren, das gilt für die österreichische genauso wie für die deutsche und internationale Sportmedienlandschaft.

Felix Haselsteiner arbeitet von München aus als Freelancer. Er schreibt unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. Hier geht es zu seinem XING-Account.