Editorial des VDS-Präsidiumsmitglieds Thorsten Poppe

Neue Maßstäbe?

01.03.2023

Bei zahlreichen Streaminganbietern steht mehr noch als im herkömmlichen Fernsehen der Faktor Unterhaltung im Fokus. Der Journalismus darf dabei aber nicht auf der Strecke bleiben, fordert das VDS-Präsidiumsmitglied Thorsten Poppe in seinem Editorial.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Markt für TV-Rechte im Sport ist durch die Streaminganbieter umkämpfter denn je. Etablierte Anbieter geraten auch durch neue technische Innovationen, die neue Maßstäbe setzen sollen, unter Druck. Im Fokus steht dabei die Frage: Unterhaltung oder Journalismus? „Entertainisierung der Sportberichterstattung“ – so lautete 2002 der Titel meiner Abschlussarbeit an der Freien Universität Berlin. Rückblickend eigentlich der Anfang dieses Prozesses, der sich seitdem stetig und in jüngster Zeit sogar immer rasanter gestaltet.

Habe ich damals noch im Fußball die gute, alte „Sportschau“ aus den 1980er-Jahren mit „Anpfiff“ (RTL) und dann „ran“ (Sat.1) unter wissenschaftlichen Aspekten analysiert, müssten es heute weit mehr Anbieter sein. Prime Video, Sky, MagentaTV, DAZN, Sporttotal, Sportdigital oder andere als Streaminganbieter neben den herkömmlichen TV-Sendern RTL, Pro7, Sat.1 (immer noch mit ran!), Sport1, und und und – Letztere bieten längst auch ihre eigenen Streamingangebote im Sport an, siehe zum Beispiel RTL mit paralleler Ausstrahlung der Europa- und Conference-League als Stream und im TV (Poppe-Foto: Anke Wälischmiller).

Dabei ging und geht es immer um Marktanteile und die Art der Präsentation, denn der Sport soll so stark wie möglich umgesetzt werden. Weil am Ende alle profitieren wollen: Der Sportverband, der die Rechte vergibt, der Rechteinhaber, der den Sport überträgt, und die Zuschauer, die den Sport konsumieren. Es liegt dabei in der Natur der Sache, dass der Sportverband das Produkt gut „verkauft“ haben möchte. Genau so will der Rechteinhaber nicht nur als reiner Verkäufer des Ruhms wahrgenommen werden, sondern die Berichterstattung journalistisch unabhängig begleitet sehen. Das hat bei diesem Modell schon immer zu Konflikten zwischen den einzelnen Parteien geführt (siehe diesbezüglich meine Session 2019 auf der re:publica).

Neue Maßstäbe bei den Sportübertragungen will der neue Streamingdienst DYN setzen, der vom ehemaligen Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga, Christian Seifert, gegründet worden ist. „Alles außer Fußball“, könnte dabei das Motto der Plattform lauten. Mittlerweile hat sich DYN die Rechte an den Bundesligen im Handball, Basketball, Volleyball, Tischtennis und kürzlich auch im Hockey gesichert. Dabei soll laut eigener Aussage „das mediale Erlebnis“ verbessert werden. Für Hockey bedeutet das zum Beispiel den Einsatz von vier festen Kameras pro Spiel. Der Trend geht laut Seifert zu Remote-Produktionen, sprich automatischen Kameras vor Ort.

Wie die Sportarten journalistisch begleitet werden, ist bislang unklar. Ein erster Fokus zeigt sich allerdings an der Aufarbeitung der Sportarten zwischen den Live-Übertragungen: Mit frei empfangbarem Content via Social Media & Co. sollen für die Sportarten neue Zielgruppen erschlossen und die Kunden die ganze Woche über unterhalten werden. Eine Diskussion um die Inszenierung des Sports in den Medien wird dabei seit Anbeginn der Rechtevergabe im Sport, wie oben angedeutet, geführt.

Es wäre ein Stück weit ehrlicher, seitens der Verbände genau diesen Content selbständig zu erstellen und zu bespielen. Wie es in den USA mittlerweile längst üblich ist. Das würde die Diskussion um eine entsprechende journalistische Begleitung des „Produkts“ und das daraus resultierende Spannungsverhältnis zwischen Sportverband und Rechteinhaber auflösen. Jedoch ist das auch ein Stück weit die Geschäftsidee von DYN, weil die Sportverbände hierzulande dieses Feld bisher noch nicht selbständig entwickeln konnten. Und eben auf strategische Partner angewiesen sind.

Die wissenschaftliche Analyse in meiner Abschlussarbeit 2002 hat übrigens aufgezeigt, dass sich die „Entertainisierung der Sportberichterstattung“ nicht aufhalten lassen wird. Allerdings konnte keiner damals absehen, wie langanhaltend sich diese gestalten würde. Dennoch hat es sich bisher immer noch ausgezahlt, dass die Rechteinhaber neben allen Unterhaltungselementen nie die journalistische Berichterstattung aus dem Blickfeld verloren – und damit aus Rezipientensicht ihre Unabhängigkeit bewahrt haben. Dies sollten wir auch künftig immer wieder betonen,

Ihr Thorsten Poppe
(Beisitzer VDS-Präsidium)