Editorial von VDS-Präsident André Keil

Neuer Anlauf

02.09.2024

Deutschland will sich um Olympische Spiele bewerben. Dazu gehört die umfassende Aufarbeitung der deutschen Sportgeschichte, findet André Keil.

 

Nun also eine neue deutsche Olympia-Bewerbung. Die Politik möchte Olympia 2036 oder 2040, und der DOSB will die Spiele auch. Sobald olympische Wettbewerbe laufen, kennt der Zuspruch der Deutschen wenig Grenzen. Kaum sind die Spiele vorbei, lässt die Zuneigung schnell nach. Und dafür gibt es Gründe.

Die deutsche Geschichtsaufarbeitung des letzten Jahrhunderts muss sich auch mit dem Sport befassen. Olympia wurde von den Deutschen nicht nur zu den Spielen 1936 zu Propagandazwecken missbraucht. Auch in der Zeit der deutschen Teilung ist Olympia zum politischen Spielfeld der Systeme geworden. Deutsch-deutsche Olympia-Qualifikationen, ungeliebte gemeinsame Olympia-Mannschaften, später dann zwei deutsche Olympia-Teams und zudem der Einsatz von enormen staatlichen Ressourcen, um den Sieg über den deutschen Rivalen auf olympischer Bühne zu gewährleisten. Koste es, was es wolle.

Von der umfassenden Aufarbeitung der deutschen Sportgeschichte sind wir weit entfernt. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands hatte der deutsche Sport viele Chancen, die eigene olympische Vergangenheit zu reflektieren und der olympischen Idee mit entsprechend innovativen und transparenten Bewerbungen zu einer Renaissance zu verhelfen. Keine wurde genutzt. Ganz im Gegenteil. Intransparenz bei Entscheidungen, ausufernde Bewerbungskosten, fehlende Teilhabe, Verfilzung von Sport und Politik. Aufgeklärt darüber hat der kritische Sportjournalismus, er hat sicher zu einer differenzierten Haltung der Deutschen zu Olympia beigetragen, sie schauen genauer hin. Das ist gut so! Nur in einer Demokratie, in der Pressefreiheit nicht nur ein Wort ist, lässt sich Kritik nicht einfach "wegbügeln". (Keil-Foto: Edith Geuppert)

International hat die politische Bedeutung Olympias und seiner Spiele offensichtlich nicht nachgelassen. Viele Nationen nutzen diese Bühne zur Reputation und suchen den Erfolg um jeden Preis. Betrug, Manipulation und Wettbewerbsverzerrung sind an der Tagesordnung. Das Vertrauen der Menschen in die Glaubwürdigkeit des Sports ist alles andere als ungetrübt.

In Deutschland ist das vielleicht durch einen starken kritischen Sportjournalismus stärker ausgeprägt als anderswo. Bestärkt auch durch die Skurrilität von neu zu erstellenden Siegerlisten Monate und Jahre nach den eigentlichen Wettbewerben, weil Athletinnen und Athleten betrügen und weil Verbände und Sportorganisationen Missstände vertuschen. Was ist ein olympischer Sport wert, der in Sachen Selbstkontrolle völlig versagt? Was bleibt dann von der Faszination des Augenblicks? Als sei das Dopingproblem nicht schon groß genug, darf sich der olympische Sport auch noch mit der Idee der sogenannten "Enhanced Games" auseinandersetzen – Spiele ohne Grenzen und Kontrollen.

Mal schauen, ob die deutschen Olympia-Pläne aufgehen. Werden Erkenntnisse aus der Sportgeschichte und Fehleranalysen aus den zurückliegenden Bewerbungen eine Rolle spielen? Für den Vorstandsvorsitzenden des DOSB, Torsten Burmester, jedenfalls gehört eine erfolgreiche Olympia-Bewerbung zu seinen fünf entscheidenden Punkten für eine Rückkehr Deutschlands unter die besten fünf Sportnationen der Welt. Ob das als Motivation reicht?