Lokaltermin zum 100. Geburtstag der Berliner Fußball-Woche

"Organ für die Interessen des Rasensports"

04.12.2023

Seit 100 Jahren bietet die Berliner Fußball-Woche verlässlich Spielberichte aus der Hauptstadt. Marcel Grzanna ist eingestiegen in die bewegte Blatt-Geschichte.

 

Das Berliner Bezirksliga-Duell zwischen dem Spandauer SV und dem VfB Pankow begann am 30. September 1923 mit nur zehn gegen zehn. Spandau schickte erst nach einer Viertelstunde Spielzeit seinen elften Mann aufs Feld, Pankow gar noch fünf Minuten später. "Ein Vorkommnis, das man bei den heutigen harten Kämpfen um die Punkte nicht recht verstehen kann“, urteilte tags drauf die noch blutjunge Fußball-Woche in ihrer zweiten Ausgabe – damals noch das "Organ für die Interessen des Rasensports". Weshalb die beiden Nachzügler nicht pünktlich erschienen, blieb dem Leser verborgen. Immerhin so viel: Am Ende gewann Spandau offenbar verdient mit 1:0.

Zu finden sind solche Schmuckstücke des Sportjournalismus der 1920er-Jahre über die Internetseite Fuwothek.de. Die Plattform digitalisiert Schritt für Schritt das gesamte Archiv aus 100 Jahren Berliner Fußball-Woche, heute ein regionales Magazin, das detailliert über den Amateurfußball in der Hauptstadt berichtet. Das elektronische Archiv zum Herunterladen für jedermann ist ein Jubiläumsgeschenk der besonderen Art. Statt eines großen Banketts mit Sekt und Schnittchen spendiert die Fußball-Woche Verlags GmbH den Nerds dieses Landes zum 100. Geburtstag einen Datenschatz, der seinesgleichen sucht – wenn er erst einmal komplett gehoben ist.

Die digitale Chronik weist immer noch große Lücken auf. "Wir sind für jeden Sponsor dankbar", sagt Horst Bläsig, 67, einst Volontär und seit 2006 Chefredakteur der Fußball-Woche. Der ehemalige Hertha-Präsident Werner Gegenbauer hat schon mitgemacht. Die Digitalisierung des Jahres 1925 ging auf seine Kappe. (Bläsig-Foto: FuWo)

Die Fußball-Woche setzte im Wettkampf mit konkurrierenden Fachmagazinen einst noch stärker auf internationale Berichterstattung und ab 1969 auf eine bundesweite Ausgabe mit Redaktionsstandorten in anderen Teilen der Republik. Seit 1982 konzentriert sich die FuWo vornehmlich auf ihre Berliner Wurzeln. Ein paar Sätze zum Spiel, Zitate, Aufstellungen Tore und Tabellen bis hinunter in die Kreisliga C – für manche piefig, für andere ein unbezahlbarer Dienst am Volkssport Nummer eins.

Beweisen muss die Fußball-Woche niemandem mehr etwas. 100 Jahre sprechen für sich. "Zahlen und Daten gibt es schneller im Internet. Aber bei uns ist jeder Text mit persönlicher Note geschrieben und nicht KI-generiert. Das macht uns authentisch", sagt Bläsig. Die Abo-Zahlen stiegen zuletzt. Mehr als 5000 sind es jetzt. Der Kioskverkauf klettert bei manchen Ausgaben auf rund 12.000 Exemplare, bei 3,50 Euro für das Heft. Neben einer Handvoll festangestellter Journalisten betreuen 15 feste Freie am Wochenende "ihre" Ligen aus der Redaktion heraus. Ein großer Pool an gänzlich freien Mitarbeitern erledigt den Rest vor Ort. Viele Studenten oder Rentner, aber auch Lehrer und Polizeibeamte besuchen für die Fußball-Woche die Sportplätze. Dafür gibt es Honorare, Reputation in den Vereinen und beste Kontakte in die Berliner Fußballszene.

So wie bei Lutz Grotehusmann. Zwischen 1977 und 2003 betreute er in seiner Freizeit eine vierstellige Zahl an Punkt- und Pokalspielen für das Blatt. "Idealismus und Freude", sagt er. In der Redaktion habe all die Jahre eine "positive Grundstimmung geherrscht", die Atmosphäre sei "immer kollegial" gewesen. Über die Fußball-Woche lernte Grotehusmann, 80, den damaligen Hertha-Manager Dieter Hoeneß kennen. Der bot dem Fachmann 2003 einen Job im Scouting-Team des Bundesligisten an. Grotehusmann sagte zu. 

Für manche Mitarbeiter war die Fußball-Woche eine großartige Freizeitbeschäftigung, für andere ein Sprungbrett. Chefredakteur Bläsig selbst arbeitete jahrelang als Fußballreporter für Die Welt und Berliner Morgenpost, ehe es ihn zurückzog. Als der Olympia-Verlag das Blatt 2008 loswerden wollte, gehörte Bläsig zu den Mitgründern der Fußball-Woche Verlags GmbH, die den Titel übernahm und gesundschrumpfte. Im Jahr 2023 kann den Verlag nach den vielen Krisen kaum noch etwas erschüttern. Auch die anstehende Verdopplung der Miete für die Büroräume im Gewerbegebiet Lützowstraße nicht. "Dann rücken wir eben ein bisschen zusammen und verzichten auf ein paar Quadratmeter", sagt Bläsig.

Als während der Corona-Zeit kein Amateurfußball gespielt wurde, grub die Redaktion monatelang bunte Geschichten aus, um attraktiv zu bleiben. Sie stellte den Berliner Jungen Moritz Jenz vor, als der vor seinem Wechsel auf Schalke noch bei Celtic Glasgow kickte oder Fußballstadien in aller Welt. Ein "Spagat", wie Bläsig meint, "weil die Leute bei uns Spielberichte lesen wollen". Dennoch sind Hintergrundgeschichten oder Porträts Bestandteil der redaktionellen Arbeit geblieben.

Die jüngsten Jahrgänge sind bei Fuwothek.de bereits lückenlos nachzulesen. Doch auch der Blick in die Vergangenheit lohnt sich, weil er nicht nur längst vergessene Fußballspiele skizziert, sondern die Geschichte unseres Landes erzählt. Beispiel: die Hyper-Inflation der Weimarer Republik. Die erste Ausgabe vom 24. September 1923 kostete am Kiosk drei Millionen Mark.  Am 26. November war der Preis auf 180 Milliarden Mark gestiegen.

Oder die Stärkung des Betriebssports der 1930er-Jahre, als Deutsche Bank und Lufthansa in den Bezirksligen oben mitmischten. Dann die Nazi-Herrschaft, als in Todesanzeigen mit Hakenkreuzen die kriegsgefallenen Sportfreunde betrauert wurden, die im "Kampf für den Führer" ihr Leben gelassen hatten. Als die Bomben Berlin erreichten, war vorläufig Schluss. Sieben Jahre wurde die Produktion des Blattes bis zu seiner Neugründung eingestellt. Mit dem Wirtschaftswunder erlebte dann auch die Fußball-Woche einen enormen Aufschwung.

Solange die Mauer Deutschland teilte, fuhr ein Mitarbeiter von Berlin über die Transit-Autobahn bis nach Göttingen, wo Fotosatz und Umbruch erledigt wurden. Am Sonntag liefen die Faxgeräte zwischen West-Berlin und Göttingen heiß, um all die leeren Seiten mit Text zu füllen. Montagmorgens lag die neueste Ausgabe der Fußball-Woche – weder verwandt noch verschwägert mit dem ehemaligen DDR-Magazin Neue Fußballwoche – an den Kiosken.

Die letzte Fahrt von Berlin nach Göttingen unternahm Volontär Bläsig. Zwei Tage nach dem Mauerfall benötigte er 15 Stunden allein bis Wolfsburg. "Danach haben wir sofort entschieden, künftig nur noch in Berlin zu drucken“, sagt er.

Marcel Grzanna ist Freelancer. Hier geht es zu seiner Facebookseite.