Bilanz des VDS/DFB-Seminars

Schiedsrichter halten nicht viel vom „Fingerspitzengefühl“

08.02.2023

Bei der VDS/DFB-Veranstaltung „Schiedsrichter schulen Sportjournalisten“ in München geht es in angeregten Gesprächen um Fehlentscheidungen im Fußball, den Sinn des VAR und die korrekte Auslegung der Regeln. Auch künftig wird wohl eifrig debattiert werden, hat Andrea Bogenreuther festgestellt.

 

In keiner anderen Sportart in Deutschland wird so viel und gern über Schiedsrichterleistungen diskutiert wie im Fußball. Den vielen emotionalen wie manchmal auch respektlosen Äußerungen über vermeintliche Fehlentscheidungen halten die Referees dann nüchtern das Regelwerk entgegen. Der VAR (Video Assistant Referee) hat diese Situation nicht wirklich verbessert, sondern neue Themenfelder eröffnet.

Um bei Medienschaffenden das Verständnis für die Fußballregeln zu schärfen sowie Schiedsrichter-Entscheidungen transparenter zu machen, lud der Verein Deutscher Sportjournalisten gemeinsam mit der Sportlichen Leitung der Elite-Schiedsrichter des Deutsche Fußball-Bundes erstmals nach der Corona-Pandemie wieder zur Veranstaltung „Schiedsrichter schulen Sportjournalisten“. Zum 17. Mal organisiert vom ehemaligen VDS-Vorstandsmitglied Hans-Joachim „Jochen“ Zwingmann. Diesmal in der Allianz Arena München.

Mit Lutz-Michael Fröhlich, dem Leiter der Elite-Schiedsrichter, sowie dem VAR-Prokjektleiter Dr. Jochen Drees und Fifa-Schiedsrichter Dr. Felix Brych war ein hochklassiges Schiedsrichter-Trio zu Gast, das den rund 50 anwesenden Sportjournalisten und -journalistinnen nicht nur das Regelwerk anhand von ausgewählten Video-Spielszenen nahebrachte, sondern auch für jegliche Fragen Rede und Antwort stand. „Der Fußball ist es wert zu diskutieren und sich auszutauschen“, sagte Fröhlich (Foto Organisator Zwingmann, links, bedankt sich beim kundigen DFB-Trio: VMS/Walz).

Er räumte auch gleich ein, dass die Bundesliga-Hinrunde aus Sicht der Schiedsrichter nicht optimal gelaufen war, „aber auch nicht so grottenschlecht, wie sie dargestellt wurde“. Bei der Weltmeisterschaft in Katar sei beispielsweise bei 64 Partien prozentual in etwa die gleiche Menge an Fehlentscheidungen getroffen wie in den ersten drei deutschen Ligen mit ihren mehr als 1000 Partien. „Auch da lief nichts schlechter oder besser als bei uns“, so Fröhlich. Der VAR schließe „den menschlichen Fehler“ eben nicht gänzlich aus. Trotzdem habe er dazu beigetragen, Fehlentscheidungen zu verringern.

Beim heutigen Hochgeschwindigkeits-Fußball sei der Kontakt mit dem VAR unverzichtbar, versicherten alle drei Referenten. „Und letztendlich behält immer der Schiedsrichter auf dem Feld die Oberhoheit über das Spiel. Er entscheidet, nie der VAR“, betonte Brych. Der Münchner nutzte aber auch die Gelegenheit anzumerken, wie „despektierlich“ er es findet, dass bei unliebsamen Entscheidungen gerne behauptet werde, die VAR-Schiris seien wohl gerade beim Pizzaessen.

„Als VAR-Schiri bin ich 90 Minuten damit beschäftigt, auf fünf Bildschirmen gleichzeitig Spielszenen zu checken. Wir überprüfen auch die vermeintlich klaren Sachverhalte. Das ist Dauerfeuer und erfordert eine maximale Konzentrationsleistung“, machte der Weltschiedsrichter von 2017 und 2021 klar, dass der Video-Keller nicht nur bei strittigen Szenen angefunkt wird. Jede Bundesligapartie werde dort in Echtzeit über die komplette Spielzeit begleitet und analysiert - und später auch nachbereitet.

Hat sich der Schiedsrichter bei Rudelbildung oder Zeitverzögerung zu lange Zeit gelassen mit der Gelben Karte? Hat er die richtige Entscheidung getroffen bei Handspiel, Abseits oder Foul? Bei den gezeigten Szenen waren die Meinungen der Medienschaffenden vielfältig. Nicht immer richtig, dafür heiß diskutiert. Ein Schmunzeln bei den Referenten, als das Wort „Fingerspitzengefühl“ fiel (Foto: Bernd Feil/MiS).

Für einen guten Schiri sei das keine Option, waren sich Drees, Fröhlich und Brych einig, die Entscheidungen müssten auf Fakten beruhen. Es lohne sich auch nicht, mit einem Schiedsrichter über die Sinnhaftigkeit der Regeln zu diskutieren. „Wir machen die Regeln nicht, das macht die Fifa. Wir setzen sie um“, betonte Brych auf die Frage, ob manchmal nicht Zeitstrafen für taktische Fouls besser wären als eine Gelbe Karte.

Nach zweieinhalb interessanten Stunden mit Videostudium, Bewertungen, Erklärungen und Diskussion war für viele Anwesende die Regelauslegung bei so manch strittiger Szene verständlicher und nachvollziehbarer geworden. Bedauert wurde deshalb, dass solche Begründungen besonders den Stadionzuschauern vorenthalten werden, weil Einblendungen solcher Szenen samt Erklärungen in Deutschland derzeit nicht machbar sind.

Schiedsrichter würden aber ohnehin jene Spiele am meisten schätzen, bei denen sie komplett im Hintergrund bleiben können und klare Entscheidungen für sich selbst sprechen, wie Brych in seinem Schlusswort anmerkte. „Am besten ist es, wenn ich ein Spiel beendet habe und keiner will mehr etwas von mir.“