05.04.2019 Was ist nur los mit vielen Vertreterinnen meines Geschlechts? Warum scheinen immer mehr von ihnen Argwohn gegenüber allem zu hegen, was männlich ist? Übrigens mit dem unerfreulichen Nebeneffekt, die noch breite Mehrheit der Frauen mehr und mehr um den Genuss kavaliersgerechter Umgangsformen zu bringen.
Welcher Mann traut sich heute schon noch, einem ein schweres Handgepäckstück aus dem viel zu hohen Fach des gerade gelandeten Flugzeugs zu reichen, wenn er von der Besitzerin ein feindselig gezischtes „Kann ich selbst!“ als Dank dafür riskiert. Vom „in den Mantel helfen“ oder „die Tür aufhalten“ ganz zu schweigen (Neumann-Foto: ZDF/Rico Rossival).
Moment mal, mögen Sie jetzt denken. Schreibt das jetzt ausgerechnet Claudia Neumann? Jene TV-Reporterin, die vergangenen Sommer aufs Übelste beschimpft und beleidigt wurde? Von Männern! Nur weil sie es wagte, als „Nicht-Mann“ Fußball-WM-Spiele live zu kommentieren? Ausgerechnet die soll Männern noch wohlgesonnen sein?
Genau jetzt sind wir am Punkt. Ich kann mich ja über so manches aufregen, aber kaum etwas nervt mich so sehr wie eine undifferenzierte Verallgemeinerung. Wo bleibt die gewissenhafte Prüfung jeder einzelnen Behauptung, jedes Einzelfalles? Warum wird immer schneller auf vermeintliche Übeltäter draufgehauen?
Sind vorurteilsfreie Überprüfungen des ersten Eindrucks einfach nicht mehr angesagt? Obwohl bei meinem Flugzeug-Beispiel vielleicht schon ein einziger Blick in die freundlichen Augen des Handgepäcks-Kavaliers genügt hätte, um den ersten Verdacht, es könne sich um eine billige Anmache oder um bewusste Demonstration männlicher Überlegenheit handeln, zu verscheuchen. Oha, doch kein Widerling, einfach nur ein höflicher Mann. Es könnte so einfach sein!
Viel zu oft liegen sie mit ihren Vorwürfen daneben
Stattdessen schießen selbsternannte Rächerinnen vermeintlich unfair behandelter Frauen wie Pilze aus dem Boden. Ihr Lieblingswort heißt „Sexismus“. Viel zu oft liegen sie damit daneben. Ihre Schrotflinten-Vorgehensweise ärgert mich gerade als Frau über alle Maßen. Weil nämlich der inflationäre Gebrauch des Sexisten-Vorwurfs auch jeden einzelnen der Fälle verwässert, die wirklich größte Empörung verdient hätten. Das scharfe Schwert des Ismen-Vorwurfs wird stumpf, wenn es übermäßig oft geschwungen wird.
Als Spitze des Eisbergs kommt mir aus sportlicher Sicht natürlich Serena Williams in den Sinn. Ihr Sexisten-Vorwurf gegen den Stuhlschiedsrichter im verlorenen US-Open-Finale war ebenso töricht wie absurd. Aber sie glaubte offenbar, dass der von der MeToo-Debatte genährte Zeitgeist ihr da eine praktische Keule in die Hand gegeben habe, die schon irgendwie treffen und von eigenen Unzulänglichkeiten ablenken werde.
Noch empörender aber finde ich es, wenn wir Journalisten nach diesem primitiven Schema vorgehen. Der besonderen Ethik unseres Berufsstandes zum Trotz. Ein besonders abschreckendes Beispiel dafür habe ich bei der Verleihung der „Sauren Gurke 2018“ an meinen Kollegen Martin Wolff miterleben müssen. Ihn habe ich in jahrzehntelanger Zusammenarbeit mit zahllosen gemeinsamen Dienstreisen noch niemals respektlos mit oder über Frauen reden hören.
Dennoch bekommen sie ihn neuerdings nur noch als Sexisten präsentiert, wenn sie ihn googeln. Das alles, weil eine junge Radioreporterin sämtliche Grundregeln sauberen journalistischen Arbeitens ignoriert hat. Anlass war ein ZDF-Interview von Martin Wolff mit Wimbledonsiegerin Angelique Kerber am Morgen nach ihrem Triumph (der TV-Beitrag ist hier zu sehen; die Red.).
Verabredungsgemäß ging es in dem Interview nur um Gefühle und Emotionen. Wie war das Aufwachen? Ist der Wimbledonsieg schon in ihrem Kopf angekommen? Wie hat sie ihn gefeiert? Mit welchem der beiden Finalisten würde sie in der anstehenden Champions-Night wohl lieber tanzen, wem also wünscht sie nachher den Finalsieg? Es war ein lockeres Gespräch, in dem dem Interviewer im Übereifer dann allerdings doch mal die Gäule durchgingen, wie er längst selbst zerknirscht eingesteht. Das Interview darf man kritisieren, es entsteht womöglich ein Eindruck der Distanzlosigkeit. Aber sexistisch? Unsinn!
Angeblich gar kein Interesse an der sportlichen Leistung
Das Verhältnis von Wolff zu Kerber war danach zu keinem Zeitpunkt getrübt. Eine Radioreporterin stellte ihn dennoch an den Pranger. 22 Jahre nach Steffi Graf endlich wieder eine deutsche Wimbledonsiegerin. Doch an der sportlichen Leistung sei der ZDF-Reporter gar nicht interessiert gewesen, er habe stattdessen nur ihr Flirtverhalten untersucht.
Dabei hatte Martin Wolff die Radioreporterin in einem Telefonat noch vor Erscheinen ihres Beitrags unmissverständlich darüber aufgeklärt, dass er Kerber sehr wohl Fragen zu ihrer sportlichen Leistung gestellt hatte. Und zwar schon vorher, direkt nach der Siegerehrung in einem ZDF-Live-Interview. Das aber unterschlug sie dann geflissentlich, ebenso wie den Hinweis, dass der grobe Rahmen des emotional gehaltenen Interviews genauso abgesprochen war (Kerber-Foto: firo sportphoto/Augenklick).
Lieber garnierte sie ihre vernichtende Bewertung noch mit dem Urteil einer Gender-Forscherin, das Interview sei sexistisch, da undenkbar sei, dass Wolff solche Fragen auch männlichen Sportlern stellen würde. Wer, so frage ich mich, kann das so sicher über einen anderen behaupten?
Auch die sogenannten „Medienfrauen“ schoben Monate später ihr längst vorliegendes Wissen um das ausgiebige sportliche Live-Interview einfach zur Seite, indem sie die Verleihung der „Sauren Gurke“ an Martin Wolff ausdrücklich damit begründeten, dass dieser Kerbers sportliche Leistung kaum gewürdigt, aber ihr Flirtverhalten ausgiebig seziert habe. Seine selbstkritische Video-Stellungnahme zudem geradezu hämisch verlachten. Ausgeliefert einer vorgefassten Frauenhaltung, der Preis musste ja verliehen werden. Fremdschämen! Wo bleibt die Verantwortung? Ein jahrzehntelang untadeliger Ruf eines Kollegen ist mit einem Schlag schwer beschädigt. Zumindest im Netz.
Vielleicht gelingt es ja, die Sinne all jener Kollegen zu schärfen, die die Ethik unseres Berufsstandes noch nicht wirklich in ihrer tiefsten Reinheit verinnerlicht haben.
Claudia Neumanns Debattenbeitrag stammt aus dem sportjournalist. Hier geht es zur Bestellung des Jahresabonnements beim Meyer & Meyer Verlag. Mitglieder des VDS erhalten den alle zwei Monate erscheinenden sportjournalist automatisch per Post und können sich das Heft zudem im Mitgliederbereich kostenlos als PDF herunterladen. Dies gilt auch für ältere Ausgaben.
Welcher Mann traut sich heute schon noch, einem ein schweres Handgepäckstück aus dem viel zu hohen Fach des gerade gelandeten Flugzeugs zu reichen, wenn er von der Besitzerin ein feindselig gezischtes „Kann ich selbst!“ als Dank dafür riskiert. Vom „in den Mantel helfen“ oder „die Tür aufhalten“ ganz zu schweigen (Neumann-Foto: ZDF/Rico Rossival).
Moment mal, mögen Sie jetzt denken. Schreibt das jetzt ausgerechnet Claudia Neumann? Jene TV-Reporterin, die vergangenen Sommer aufs Übelste beschimpft und beleidigt wurde? Von Männern! Nur weil sie es wagte, als „Nicht-Mann“ Fußball-WM-Spiele live zu kommentieren? Ausgerechnet die soll Männern noch wohlgesonnen sein?
Genau jetzt sind wir am Punkt. Ich kann mich ja über so manches aufregen, aber kaum etwas nervt mich so sehr wie eine undifferenzierte Verallgemeinerung. Wo bleibt die gewissenhafte Prüfung jeder einzelnen Behauptung, jedes Einzelfalles? Warum wird immer schneller auf vermeintliche Übeltäter draufgehauen?
Sind vorurteilsfreie Überprüfungen des ersten Eindrucks einfach nicht mehr angesagt? Obwohl bei meinem Flugzeug-Beispiel vielleicht schon ein einziger Blick in die freundlichen Augen des Handgepäcks-Kavaliers genügt hätte, um den ersten Verdacht, es könne sich um eine billige Anmache oder um bewusste Demonstration männlicher Überlegenheit handeln, zu verscheuchen. Oha, doch kein Widerling, einfach nur ein höflicher Mann. Es könnte so einfach sein!
Viel zu oft liegen sie mit ihren Vorwürfen daneben
Stattdessen schießen selbsternannte Rächerinnen vermeintlich unfair behandelter Frauen wie Pilze aus dem Boden. Ihr Lieblingswort heißt „Sexismus“. Viel zu oft liegen sie damit daneben. Ihre Schrotflinten-Vorgehensweise ärgert mich gerade als Frau über alle Maßen. Weil nämlich der inflationäre Gebrauch des Sexisten-Vorwurfs auch jeden einzelnen der Fälle verwässert, die wirklich größte Empörung verdient hätten. Das scharfe Schwert des Ismen-Vorwurfs wird stumpf, wenn es übermäßig oft geschwungen wird.
Als Spitze des Eisbergs kommt mir aus sportlicher Sicht natürlich Serena Williams in den Sinn. Ihr Sexisten-Vorwurf gegen den Stuhlschiedsrichter im verlorenen US-Open-Finale war ebenso töricht wie absurd. Aber sie glaubte offenbar, dass der von der MeToo-Debatte genährte Zeitgeist ihr da eine praktische Keule in die Hand gegeben habe, die schon irgendwie treffen und von eigenen Unzulänglichkeiten ablenken werde.
Noch empörender aber finde ich es, wenn wir Journalisten nach diesem primitiven Schema vorgehen. Der besonderen Ethik unseres Berufsstandes zum Trotz. Ein besonders abschreckendes Beispiel dafür habe ich bei der Verleihung der „Sauren Gurke 2018“ an meinen Kollegen Martin Wolff miterleben müssen. Ihn habe ich in jahrzehntelanger Zusammenarbeit mit zahllosen gemeinsamen Dienstreisen noch niemals respektlos mit oder über Frauen reden hören.
Dennoch bekommen sie ihn neuerdings nur noch als Sexisten präsentiert, wenn sie ihn googeln. Das alles, weil eine junge Radioreporterin sämtliche Grundregeln sauberen journalistischen Arbeitens ignoriert hat. Anlass war ein ZDF-Interview von Martin Wolff mit Wimbledonsiegerin Angelique Kerber am Morgen nach ihrem Triumph (der TV-Beitrag ist hier zu sehen; die Red.).
Verabredungsgemäß ging es in dem Interview nur um Gefühle und Emotionen. Wie war das Aufwachen? Ist der Wimbledonsieg schon in ihrem Kopf angekommen? Wie hat sie ihn gefeiert? Mit welchem der beiden Finalisten würde sie in der anstehenden Champions-Night wohl lieber tanzen, wem also wünscht sie nachher den Finalsieg? Es war ein lockeres Gespräch, in dem dem Interviewer im Übereifer dann allerdings doch mal die Gäule durchgingen, wie er längst selbst zerknirscht eingesteht. Das Interview darf man kritisieren, es entsteht womöglich ein Eindruck der Distanzlosigkeit. Aber sexistisch? Unsinn!
Angeblich gar kein Interesse an der sportlichen Leistung
Das Verhältnis von Wolff zu Kerber war danach zu keinem Zeitpunkt getrübt. Eine Radioreporterin stellte ihn dennoch an den Pranger. 22 Jahre nach Steffi Graf endlich wieder eine deutsche Wimbledonsiegerin. Doch an der sportlichen Leistung sei der ZDF-Reporter gar nicht interessiert gewesen, er habe stattdessen nur ihr Flirtverhalten untersucht.
Dabei hatte Martin Wolff die Radioreporterin in einem Telefonat noch vor Erscheinen ihres Beitrags unmissverständlich darüber aufgeklärt, dass er Kerber sehr wohl Fragen zu ihrer sportlichen Leistung gestellt hatte. Und zwar schon vorher, direkt nach der Siegerehrung in einem ZDF-Live-Interview. Das aber unterschlug sie dann geflissentlich, ebenso wie den Hinweis, dass der grobe Rahmen des emotional gehaltenen Interviews genauso abgesprochen war (Kerber-Foto: firo sportphoto/Augenklick).
Lieber garnierte sie ihre vernichtende Bewertung noch mit dem Urteil einer Gender-Forscherin, das Interview sei sexistisch, da undenkbar sei, dass Wolff solche Fragen auch männlichen Sportlern stellen würde. Wer, so frage ich mich, kann das so sicher über einen anderen behaupten?
Auch die sogenannten „Medienfrauen“ schoben Monate später ihr längst vorliegendes Wissen um das ausgiebige sportliche Live-Interview einfach zur Seite, indem sie die Verleihung der „Sauren Gurke“ an Martin Wolff ausdrücklich damit begründeten, dass dieser Kerbers sportliche Leistung kaum gewürdigt, aber ihr Flirtverhalten ausgiebig seziert habe. Seine selbstkritische Video-Stellungnahme zudem geradezu hämisch verlachten. Ausgeliefert einer vorgefassten Frauenhaltung, der Preis musste ja verliehen werden. Fremdschämen! Wo bleibt die Verantwortung? Ein jahrzehntelang untadeliger Ruf eines Kollegen ist mit einem Schlag schwer beschädigt. Zumindest im Netz.
Vielleicht gelingt es ja, die Sinne all jener Kollegen zu schärfen, die die Ethik unseres Berufsstandes noch nicht wirklich in ihrer tiefsten Reinheit verinnerlicht haben.
Claudia Neumanns Debattenbeitrag stammt aus dem sportjournalist. Hier geht es zur Bestellung des Jahresabonnements beim Meyer & Meyer Verlag. Mitglieder des VDS erhalten den alle zwei Monate erscheinenden sportjournalist automatisch per Post und können sich das Heft zudem im Mitgliederbereich kostenlos als PDF herunterladen. Dies gilt auch für ältere Ausgaben.