Die allzu gegenwärtige Zukunft

Trend Roboter-Journalismus

25.05.2019 Künstliche Intelligenz wird verstärkt auch in der Medienbranche eingesetzt. Chance oder Bedrohung? Auf jeden Fall eine Entwicklung, die polarisiert und eine starke Dynamik entfaltet.
Autor: Gregor Derichs
Das Jahr wird bitter. So wurde die Meldung kommentiert, dass die DuMont Mediengruppe ihre Zeitungen abstoßen will. Besonders die Boulevardblätter leiden unter massivem Auflagen- und Werberückgang. Auch bei Springer verliert der Printbereich, aber der Verlag konnte seinen Umsatz gegenüber dem Vorjahr um vier Prozent auf 3,18 Milliarden Euro steigern und 514 neue Stellen schaffen.
 
Auch andere Häuser kommen bei der Transformation ins digitale Publishing voran. Wie DuMont schaffen es aber vor allem kleinere Verlage nicht, attraktive digitale Angebote zu entwickeln. Auch die Urheberrechtsreform der EU, die die großen Netzkonzerne zu Nutzungsgebühren zwingen soll, wird sie kaum retten können. Diesen Verlagen stehen wohl noch viele bittere Jahre bevor.
 
Die Problemfälle werden sicherlich weiter an der Preisschraube drehen. Vielleicht kommen sie auf die Idee, mit Künstlicher Intelligenz menschliches Personal zu reduzieren. Der Begriff und sein Kürzel KI (englisch AI) weckt ja bei nicht wenigen Menschen Ängste. „Damit lässt sich ein totaler Staat schaffen. George Orwells ‚1984‘ ist ein Kinderbuch dagegen“, erklärte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Dass KI im Journalismus eine Produktionshilfe werden kann, ist allerdings auch schon erwiesen
 
Die Titelseiten über einen baldigen Asteroiden-Einschlag auf der Erde, den die DuMont-Blätter Hamburger Morgenpost, Express und Berliner Kurier Ende Februar brachten, waren allerdings kein Roboter-Streich. Der Apokalypse-Schocker, der auch bei der tz in München als Titel erschien, war von Sky gekaufte Werbung für die Endzeitserie „8 Tage“. Ob diese Lesertäuschung die Chancen von DuMont erhöht hat, die Zeitungen abzustoßen, ist zumindest fraglich.
 
Möglicherweise genauso problematisch, aber zumindest innovativer als dieses fiese Spiel mit der Angst wirkt der Roboter-Journalismus. Er wird in der Branche schon angewendet. Die Recherche übernimmt der Computer, eine Software sammelt Daten und Fakten, Algorithmen generieren die Texte. In KI geht der Prozess über, wenn sich das maschinelle Lernen selbst weiterentwickelt – was Menschen mit echter Intelligenz zuvor angestoßen haben müssen.

Folgender Prozess ist denkbar: Man möchte ein Telefonat mit einem Menschen zu einem interessanten Thema im Artikel mit Feature-Elementen anreichern. Der Ort, wo sich der Interviewpartner befand, wird mit weiteren Einzelheiten abgefragt, ebenso das Wetter und zeitgleiche Ereignisse in der Region.

Ist das eine Fiktion? Nein, ist es nicht!
 
Der Textroboter wirft mit Aussagen anderer Menschen über den Interviewpartner, Fakten zu seiner Herkunft und seinem Werdegang sehr schnell einen sprachlich sauberen, grammatikalisch korrekten Artikel mit vielen Details aus. Nun arbeitet man die in Eigenarbeit gewonnenen Zitate ein oder hat sie schon einfügen lassen. Ist das eine Fiktion? Nein, ist es nicht!
 
In Deutschland hoffen AX Semantics und Retresco, dass Medien ihren automatisierten Content für Wetter-, Finanz- und Börsenberichte erwerben. Das Startup ReportExpress bietet Amateur-Fußballvereinen lesbare, KI-basierte Standardtexte, die aus Spieldaten generiert. In England verkauft die Nachrichtenagentur PA automatisch erstellte Lokalnachrichten.

Ein neuer Quell für kaum zu identifizierende Fake News?
 
„In Blättern wie den Norwich Evening News und dem Cambridge Independent schreibt die Software von PA bereits Titelgeschichten. Noch läuft das ‚Radar‘ genannte Projekt in der Testphase. In Kürze soll es monatlich bis zu 30.000 Geschichten produzieren“, schrieb Alexander Fanta bei netzpolitik.org und führte Beispiele auf, wie der Automat auch schon Daten falsch interpretierte und groben Unsinn meldete.
 
Beginnt die Roboterzeit großflächig, steht der Journalismus zweifellos vor einer weiteren Herausforderung. Die Automatisierung könnte helfen, Texte zu checken, Fälschungen à la Relotius zu entlarven und verzerrte Fakten aufzuspüren. Darauf, dass ein neuer Quell für kaum zu identifizierende Fake News entsteht, könnte man allerdings Wetten annehmen.

Gregor Derichs ist seit 2001 als freier Sportjournalist tätig. Zuvor arbeitete der 65-Jährige unter anderem in verantwortlicher Position bei dapd, dpa und SID. Der ausgebildete Diplom-Sportlehrer trat als Mitautor wie Chefredakteur zahlreicher Bücher und Magazine in Erscheinung. Zu den Kunden seiner 2015 zusammen mit Dirk Graalmann gegründeten Agentur Derichs & Graalmann Kommunikation gehört unter anderem Fußball-Bundesligist Hoffenheim.

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe April/Mai 2019 des sportjournalist. Hier geht es zur Bestellung des Einzelheftes beim Meyer & Meyer Verlag. Mitglieder des VDS erhalten den alle zwei Monate erscheinenden sportjournalist automatisch per Post und können sich das Heft zudem im Mitgliederbereich kostenlos als PDF herunterladen. Dies gilt auch für ältere Ausgaben.