Offener Brief aus der DW-Sportredaktion

„Unsere Abteilung wird de facto aufgelöst“

31.03.2023

Die Geschäftsleitung der Deutschen Welle plant massive Kürzungen. sportjournalist.de dokumentiert eine Erklärung von Mitgliedern der DW-Sportredaktion als Reaktion auf die angekündigten drastischen Sparmaßnahmen, von denen viele Abteilungen betroffen sind, insbesondere der Sport.

 

Als Ergebnis drastischer Kürzungen im gesamten Unternehmen, die darauf abzielen, ein voraussichtliches Defizit in zweistelliger Millionenhöhe auszugleichen, werden voraussichtlich 200 bis 300 freie Mitarbeitende der DW ihre Arbeit verlieren.

Besonders drastisch sind die Einschnitte bei DW Sport. Unser Budget wird um 75 Prozent gekürzt. Das bedeutet in der Konsequenz, dass bis zu 60 Sport-Kolleginnen und -Kollegen ihre Jobs verlieren werden und unsere Abteilung damit de facto aufgelöst wird. Dieser Kahlschlag wurde der Redaktionsleitung erst am Abend des 16. März mitgeteilt, bereits am 17. März wurde der DW-Rundfunkrat informiert, am Abend desselben Tags die DW-Mitarbeitenden.

Wir sind entsetzt darüber, dass die obere Führungsebene der DW jegliche Verantwortung für das zu erwartende große Defizit ablehnt und stattdessen die Sportredaktion, deren Budget nur sechs Millionen Euro des DW-Gesamtetats von 403 Millionen Euro ausmacht, zum Sündenbock für die Versäumnisse der Geschäftsleitung macht. Diese Entscheidung wurde weder professionell noch transparent noch respektvoll kommuniziert. Dies verstößt nicht nur gegen den Code of Conduct der DW, sondern spricht den Werten Hohn, für die das Unternehmen angeblich eintritt.

In Gesprächen mit Mitgliedern der Geschäftsleitung wurde deutlich, dass wir als Abteilung abgeschafft werden sollen, obwohl wir die Strategie der DW-Führung umsetzen; dass Mitarbeitende der Sportredaktion auch dann entlassen werden, wenn mehr Geld zur Verfügung stehen sollte; dass in der Unternehmensspitze keine Vorstellung davon existiert, wie wir tatsächlich arbeiten; so dass die Sportredaktion in schwierigen Zeiten ein leichtes Ziel ist. (Screenshot: Deutsche Welle)

Sport ist ein geopolitisches, soziales und kulturelles Phänomen, das einzelne Menschen, Gesellschaften und Regierungen auf der ganzen Welt betrifft und daher nicht umsonst integraler Bestandteil der Berichterstattung jedes seriösen Medienunternehmens ist. Das gilt besonders in der aktuellen Zeit, in welcher der Sport zunehmend von Nationalstaaten und mächtigen Einzelpersonen für ihre Zwecke instrumentalisiert wird. Vor diesem Hintergrund soll der Sport nicht zu den erklärten Zielen und dem Profil der DW passen? Wir fragen uns, was dann überhaupt noch dazu passt.

Die beschlossenen Kürzungen haben zur Folge, dass vier 2024 bevorstehende Ereignisse von großer kultureller und gesellschaftlicher Bedeutung weitgehend ignoriert werden: die Fußball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland, die Olympischen und Paralympischen Spiele in Paris sowie der Fußball-Afrika-Cup der Männer in der Elfenbeinküste.

Die Ereignisse haben eine sport- und gesellschaftspolitische Dimension, über den rein sportlichen Ereignisverlauf hinaus

Wie soll die Berichterstattung darüber anders als nur oberflächlich sein, wenn die Reporterinnen und Reporter mit der nötigen Expertise fehlen? Bei diesen Ereignissen geht es nicht nur darum, was auf dem Spielfeld, auf der Tartanbahn oder im Velodrom passiert. Die Ereignisse haben eine sport- und gesellschaftspolitische Dimension, über den rein sportlichen Ereignisverlauf hinaus.

Immer wieder berichten wir schon jetzt über Themen, die über die nackten Ergebnisse hinausgehen - etwa über sexuellen Missbrauch im Basketball des afrikanischen Staates Mali, über ukrainische Athletinnen und Athleten, die bei Wettkämpfen starten, während sich ihr Land im Krieg befindet oder über das Schicksal von Sportlerinnen unter der Taliban-Herrschaft in Afghanistan.

Wir widmen uns dem Para-Sport, dem Kampf um Gleichberechtigung der Geschlechter und dem Thema psychische Gesundheit im Sport. Wir haben uns zudem als verlässliche und fundierte Plattform für den Frauenfußball, insbesondere in Deutschland, etabliert - bereits zu einer Zeit, als nur wenige den Frauenfußball überhaupt beachteten.

Wir haben eine starke Fangemeinde in den sozialen Medien aufgebaut

Wir haben Dokumentarfilme produziert, die Millionen von Menschen auf YouTube abriefen. Wir bieten einen Podcast über kulturelle und soziale Aspekte des deutschen Fußballs an. Und wir haben eine starke Fangemeinde in den sozialen Medien aufgebaut: auf Facebook (mehr als 500.000 Follower), Twitter (der dritterfolgreichste DW-Account in Englisch) und Instagram (allein im März stieg unsere Reichweite um 186 Prozent, die Interaktionen mit den Usern um 99 Prozent).

Wir sind enttäuscht und fassungslos, dass die Belohnung für unser Engagement darin besteht, als Abteilung de facto aufgelöst zu werden. Vor allem aber schmerzt uns die Bereitschaft der oberen Führungsebene, so viele talentierte Kolleginnen und Kollegen, die so viel in die DW investiert haben, gehen zu lassen.

Wir fordern die Geschäftsführung mit allem Nachdruck auf, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken. In der Zwischenzeit werden wir weiterhin die Arbeit leisten, auf die wir stolz sind - für die User, die Zuschauenden und Lesenden auf der ganzen Welt, die sich darauf verlassen, dass wir sie informieren. Wir werden dies fortsetzen, solange wir noch da sind.