Essay zum KI-Einsatz

Hilfreiche Technik, die der Begrenzung bedarf

25.07.2023

Die An- und Verwendung Künstlicher Intelligenz ist im (Sport-)Journalismus nicht Zukunft, sondern Gegenwart. VMS-Geschäftsführer Diethelm Straube sieht KI als nützliche Ergänzung, weist aber auch auf nötige Begrenzungen deren Einsatzes hin.

 

Diethelm Straube, Jahrgang 1957, ist Geschäftsführer des Vereins Münchner Sportjournalisten. Er arbeitet zurzeit als Kommunikationsberater sowie Vortrags- und Präsentationscoach. Zuletzt veröffentlichte er das Buch „Der eigentliche Text ist die Pause – Präsentieren. Überzeugen. Begeistern.“ (Meistermacher Verlagshaus).

Notizblock, Schreibmaschine, Telefon, recherchieren, mit Menschen sprechen. Gefühlt voriges Jahrtausend. Mobiltelefon, Laptop, googeln. Aktuell? Nein. Voriges Jahrhundert. Den (Sport-)Journalisten gibt es. Noch. Seine Betätigungsfelder aber haben sich in Windeseile verändert, sind vielfältiger, umfangreicher geworden. Und er sieht sich zunehmend einem nicht-menschlichen „Kollegen“ gegenüber: der künstlichen Intelligenz KI.

Ein Problem? Nein. Wenn es um Daten, also Wetter, Sportergebnisse, Börsenkurse etc. geht. Dann ist KI weltweit schon angekommen und nützlich. Nein. Weil KI viel besser als der Journalist Themen und Trends im Social-Media-Universum erkennen kann. Nein. Weil KI „intelligent“ in Archiven, Pressemitteilungen oder Wikipedia recherchiert. Und nochmal nein, weil KI wunderbar und schnell überprüft, ob der Artikel alle formalen Kriterien erfüllt. So, und jetzt die Kehrseite (Straube-Foto: Martin Hangen).

Anfang dieses Jahres haben KI-Forscher und -Entwickler öffentlich eine „Entwicklungspause für Systeme künstlicher Intelligenz“ gefordert. Warum? Weil sie, wie sie selbst feststellen mussten, ihre Programme nicht mehr verstünden und wirksam kontrollieren könnten. Wir (Sport-)Journalisten bewegen uns zwar nicht in sicherheitskritischen Bereichen, aber wir sind immer noch die vierte Gewalt.

Oder hat sich durch die „Jeder kann etwas veröffentlichen“-Gesellschaft nicht schon vieles grundsätzlich verschoben? Sind die Sozialen Medien also nur die fünfte Gewalt, oder ersetzen sie gar nach und nach die vierte? Was heißt das beziehungsweise was muss das bedeuten? Ich für meinen Teil habe gelernt, niemals darf die Genauigkeit dem „schneller, höher, weiter“ geopfert werden.

Und ausschließlich, was ein Redakteur weiß, gesehen, gehört oder nachgeprüft (für mich essenziell) hat, darf verwendet werden. Was uns ausmacht, die Einordnung, die Kommentierung, das Gefühl, das Aufdecken und Erzählen von Geschichten, die Verantwortung, das Bewusstsein – das kann KI (noch) nicht.

Und dann kommt der Chatbot ChatGPT um die Ecke. Noch in den Kinderschuhen, aber es lässt sich schon erahnen, dass NutzerInnen – also auch JournalistInnen – die Antworten immer seltener hinterfragen werden. Quelle? Glaubwürdigkeit? Die Überprüfung, ob richtig oder falsch, wird immer seltener.

Der Deutsche Journalistenverband hat deshalb schon 2021 in einer Resolution festgehalten, dass KI eine sinnvolle Ergänzung sei, „jegliche Gedankenspiele über den Ersatz journalistischer Leistungen durch KI“ aber strikt abgelehnt werden. Zu Recht auch aus einem ganz anderen Grund: Der digitalen Reise ins nächste Jahrtausend dürfen keinesfalls Arbeitsplätze zum Opfer fallen! Freiwerdende Ressourcen müssen durch andere inhaltliche Aufgaben gefüllt werden. Ein frommer Wunsch. Ich weiß (Titelseite VMS INFO 2023: Alexander Hassenstein/VMS).

KI ist aber nicht nur im Print- und Onlinebereich angekommen — mit direktem Einfluss auch auf die Medienschaffenden. Für die beteiligten Akteure ist KI ein hilfreiches Werkzeug bei der Arbeit. Für die Plattformen die Möglichkeit, alles abzubilden, was gesehen werden will und soll.

Tagtäglich konsumieren wir also Sportereignisse auf Prime Video, Sky, Magenta TV, DAZN, Sporttotal, Sportdigital und bald DYN und merken gar nicht, dass der Einsatz von Automatisierung und Algorithmen die gesamte Produktionslinie beeinflusst. TV-Produktionen mit vollautomatischen Kameras oder die Computersoftware, die innerhalb von Sekunden aus einer Sport-Übertragung einen dreiminütigen Video-Clip erstellt.

Und das sind ja nur zwei Beispiele und nur der Anfang der Zukunft. Eine Zukunft, die, wie es aus medienwissenschaftlicher und politischer Richtung heißt, keine Arbeitsplätze kosten wird. Nochmal ein frommer Wunsch. Zu wünschen wäre zumindest, dass die übrig gebliebenen (Sport-)Journalisten dann immer noch mit so viel Herzblut, Wissen, Verantwortung arbeiten. Und nicht von Maschine zu Mensch, sondern von Mensch zu Mensch.

Dieser Text stammt aus der VMS INFO 2023. Wir danken den Kolleg*innen für die Genehmigung zur Nutzung. Auf der Website des Vereins Münchner Sportjournalisten können Sie sich die VMS INFO 2023 als kostenloses PDF herunterladen.